Lange ist das her, genauer gesagt 1989, als meine Geschichte „mit Bulwien“ begann. Ich wollte mich beruflich weiterentwickeln. Damals war ich 27, wohnte in München. Die Digitalisierung eroberte langsam den Alltag, in den Büros gab es kleine technische Sensationen: Statt Schreibmaschine nutzte man den PC, statt Telex (Fernschreiben) das Faxgerät, statt Stenographie ein Diktiergerät, und es gab auch schon Kopiergeräte, aber alles noch schwarz-weiß. Damals bot der Arbeitsmarkt viele berufliche Chancen, auch für Quer- und Umsteiger wie mich.
Zwei Jahre zuvor schon hatte ich mich nach einem Italianistik-Grundstudium und ein paar Jahren an der Übersetzer- und Dolmetscherschule gegen eine Übersetzer-/Dolmetscher-Laufbahn entschieden. Ich war an mehr Bandbreite interessiert, lernte Textverarbeitung, Datenbanken und Tabellenkalkulation am PC (wer kennt noch Sinux?). Die Büropraxis kannte ich von Jobs in verschiedenen, teils großen Firmen, das Arbeitsfeld fand ich vielseitig und interessant.
Nun fühlte ich mich bereit für einen „echten“ Job und inserierte in der Süddeutschen Zeitung, damals das Forum für seriöse Arbeitsstellen. Ich bekam stapelweise Angebote unterschiedlicher Art, darunter ein sehr netter Brief von Hartmut Bulwien. Die Stellenbeschreibung entsprach meinen Wünschen und ich vereinbarte ein Vorstellungsgespräch. Wir wurden uns schnell einig. Entscheidend für mich waren die Punkte Nichtraucherbüro (damals ungewöhnlich), keine Sekretariatsvorgängerin (spannend), kleine, innovative Firma. Auch gab es bereits Apple-Rechner (bedienungsfreundlich und cool).
Ein paar Wochen später, am 2. Oktober 1989, war mein erster Arbeitstag beim MÜNCHENER INSTITUT für Markt- Regional- und Wirtschaftsforschung. Das Büro am Prinzregentenplatz hatte nur wenige Zimmer, wir waren ein kleines Vierer-Team, Hartmut Bulwien, Gertrud Schinzler und Andreas Schulten, alle Geografen – und ich als Neuling und auch Jüngste. In meinen Arbeitsbereich fiel die Organisation von Büro und Terminen, Korrespondenz, Gutachten abtippen und am PC mit Grafiken und Tabellen in Form bringen, ein bisschen Archivarbeit und buchhalterische Tätigkeiten. Ich fühlte mich sehr schnell wohl, alle hatten immer ein offenes Ohr für Fragen, ich konnte eigene Ideen einbringen und umsetzen. In unserem kleinen Team herrschte eine positive Aufbruchstimmung, die ansteckte.
Ein besonderer Arbeitstag war der 9. November 1989: Am frühen Abend stand ich zwei Stockwerke tiefer, in unserem Partnerbüro Dr. Seebauer, am Faxgerät. Das Radio lief im Hintergrund. Plötzlich wurde die Musiksendung unterbrochen und es kam die unglaubliche Meldung, dass in der DDR ab sofort Reisefreiheit für alle gilt. Kurz darauf kam bekanntlich die Wiedervereinigung. Im Zuge dieser historischen Ereignisse veränderte sich auch das MÜNCHENER INSTITUT, es kamen weitere Mitarbeiter hinzu, als erste Hildegard Höhlich als Geografin und Thomas Voßkamp als Praktikant. Es gab spannende Aufgaben in den neuen Bundesländern. Schon im Sommer 1990 erfassten wir Kinos in der Noch-DDR. Ich klebte tagelang Fotos in die Gutachtenexemplare, der Foto-Schnellentwicklungsservice machte das Geschäft seines Lebens.
Das Büro in Berlin wurde gegründet, ich wurde öfter nach Berlin geschickt, um das Büro in der Lietzenburger Straße auszustatten. Die 1990er-Jahre waren Expansionsjahre, das Team wuchs ständig, die Technik entwickelte sich in rasantem Tempo. Anfangs füllte ich noch Überweisungsträger für die Bank mit der Schreibmaschine aus, schnell hatten wir dann eine BTX-Verbindung zur Bank via Modem und PC, bald hieß es Datex-J. Herr Bulwien hatte ein erstes Funktelefon, ein sogenannter Knochen mit Antenne und einer Akkulaufzeit von ca. 30 Minuten, er reiste mit mehreren Ersatzakkus. Aufgrund der wachsenden Mitarbeiterzahl zog das Münchener Büro mehrfach in größere Büros um. Zuerst 1993 nach Unterföhring am Stadtrand von München, dort hatten wir Internetanschluss und schrieben die ersten E-Mails, die Postleitzahlen wurden fünfstellig, die Rechtschreibung wurde reformiert und wir kopierten in Farbe. Die Neunziger waren eine aufregende Zeit, die Welt wurde neu geordnet und es schien, als wäre nichts unmöglich.
In Erinnerung blieben mir von dieser Zeit in Unterföhring viele spannende Großprojekte, oft absolutes Neuland. Wir arbeiteten engagiert öfters bis spät in die Nacht. Ein Gutachten für den Flughafen Schönefeld warfen wir kurz vor 2 Uhr in den Großpostbriefkasten an der Hauptpost, alles ging damals per Papier raus. Ein ganz besonderes Erlebnis war die letzte totale Sonnenfinsternis gemeinsam in der Mittagspause auf einem Feld. Auch an die Firmenausflüge im damals noch kleineren Kreis denke ich gerne, u. a. nach London zu Besuch bei PMA, an den Spitzingsee mit Mitternachtsspaziergang über den Friedhof, zum Konzert des Thomaner-Chors in Leipzig, eine Wanderung durch die Schorfheide, Grillabende an der Isar und diverse feucht-fröhliche Oktoberfestbesuche.
2004 zogen wir an unsere heutige Adresse in die Nymphenburger Straße. Dies war die Zeit von vielen Veränderungen: Die Firma wuchs weiter, fusionierte mit der gesa GmbH, mehr Niederlassungen kamen hinzu und auch mein Arbeitsbereich änderte sich im Laufe der Jahre. Anfangs war ich ein bisschen das „Mädchen für alles“, was im Büroalltag so anfiel. Doch bald hatten wir Fachkräfte für das wachsende Archiv, für die umfangreichen Datenbanken und dann auch für die Buchhaltung. Die Sekretariats-/Assistenz- und Organisationsaufgaben wurden umfangreicher und herausfordernder. Gute Nerven waren unerlässlich, vieles musste gleichzeitig passieren und Lob war meist dünn gesät. Im Layout hatte ich aber immer schon „meine Finger drin“, vor allem wenn es um die Grund-Designs ging. Mit der zunehmenden Digitalisierung und Umverteilung von Organisationsaufgaben spezialisierte ich mich ganz auf das Layout, vor allem auf die Entwicklung von Vorlagen, die ein Einbinden unserer Datenbank in die Gutachten ermöglichen und die Abläufe für das Team bei der Erstellung von Gutachten vereinfachen. Ich empfinde die Herausforderung, sich immer wieder mit digitalen Neuerungen befassen zu müssen, als positiv und bin froh, dass ich viel Innovationskraft und Kreativität in meine Arbeit einbringen kann.
Natürlich gibt es in den langen Jahren der Betriebszugehörigkeit immer wieder Phasen, wo man mit manchen Kollegen und Kolleginnen nicht so gut kann, wo vielleicht der Arbeitsbereich langweilt und nervt, wo man sich an neue Chefs gewöhnen muss. Aber solche „Schwierigkeiten“ sah ich immer als Herausforderung und Chance zur persönlichen Weiterentwicklung. Nichts ist für mich schlimmer als Monotonie und geistiger Stillstand, aber das erlebte ich bei bulwiengesa nie und auch keine Langeweile.
Ob ich mich bei bulwiengesa wieder bewerben würde? Eigentlich hatte sich damals ja bulwiengesa bei mir beworben. Das Unternehmen hat sich seitdem auch sehr verändert: vom kleinen Start-up mit vier Mitarbeitern zu einem der wichtigsten „Player“ für Analysen in der Immobilienbranche an fünf Standorten mit fast 100 Mitarbeitern. Nochmal in so einer kleinen Firma wie damals starten würde ich aber schon. Ist aber eher hypothetisch, denn jetzt mit 61 nochmal komplett neu anfangen? Eher nicht, ich hoffe aber, dass ich noch ein paar spannende Jahre dabei sein darf und dann mit meinem Mann gemeinsam neue Herausforderungen im Ruhestand angehen kann. Das Leben bleibt spannend!