Laden zu, was nun? Der Einzelhandel ist besonders unter Transformationsdruck, aber beileibe nicht das einzige Segment.

„Im Bestand zu bleiben ist weniger Verschwendung"


Hintergrund Einzelhandel
22.05.2023 Autor/en: bulwiengesa

In einem gemeinsamen Webinar mit Union Investment haben unterschiedliche Akteure diskutiert: Wann machen Transformationsprojekte Sinn? Denn allen ist klar, dass niemand nur noch auf Neubau setzen kann. Aber die Hürden bereiten Kopfzerbrechen.

Zu dem Webinar von Union Investment und bulwiengesa waren fünf erfahrene Akteure nach Hamburg eingeladen, aus unterschiedlichen Perspektiven zu diskutieren. Das Thema brennt vielen unter den Nägeln, mehr als 1.200 Interessierte hatten sich angemeldet.

Moderiert wurde der Livestream von Henrike Waldburg, Head of Investment Management Global bei Union Investment Real Estate GmbH. Im Panel diskutierten:

  • Dr. Thorsten Bischoff, Geschäftsführer, VALUES. Real Estate
  • Andreas Deilmann, Geschäftsführer, Deilmann Planungsgesellschaft mbH
  • Michael Ehret, Geschäftsführer, Ehret+Klein GmbH
  • Felix Embacher, Bereichsleiter Research & Data Sience, bulwiengesa AG
  • Andreas Tied, Bereichsleiter Immobilien- und Stadtentwicklung, Investitionsbank Berlin

Transformationsimmobilien sind Bestandsimmobilien, die eine wesentliche Veränderung ihrer Gebäude und Nutzungsstruktur erfahren haben – als Alternative zu Abriss und Neubau. Eine neue Erscheinung sei das Thema Transformationsimmobilien jedoch nicht, so Felix Embacher von bulwiengesa in seinem kompakten Einführungsvortrag, habe aber unter dem aktuellen Druck stark an Bedeutung gewonnen. Felix Embacher verantwortet auch die zweite gemeinsame Studie zu Transformationsimmobilien. Bereits für die erste Studie aus dem Jahr 2021 wurden Kriterien für Arten von Transformation definiert. Interessant: Wohnungen sind nie der Ausgangspunkt für Transformationen; überwiegend sind es nicht mehr zeitgemäße oder unrentable Einzelhandels- und Büroimmobilien, die transformiert und in andere Nutzungen überführt werden, häufig mit Mixed-Use-Konzepten. Der wirtschaftliche Aspekt einer Transformation ist zentral.

Auch Andreas Tied, IBB, bekräftigt die aktuelle Relevanz: „Vor einem Jahr noch war die Notwendigkeit einer Transformation vielen nicht bewusst. Aber heute wissen große Eigentümer, worum es geht.“ Das Thema ESG ist von der EU getrieben, Banken wiederum haben eine wichtige Steuerungsfunktion. „Die große Frage ist: Welchen Businessplan kann man in welchem Zeitraum umsetzen?“ Das Problem: Es fehlen Daten, beispielsweise Verbrauchswerte.

Dr. Thorsten Bischoff nimmt zunächst die Immobilien und ihr jeweiliges Nutzungskonzept in Augenschein. In Braunschweig hat VALUES beispielsweise eine alte Hertie-Immobilie erst in ein Shoppingcenter, später in ein Geschäftshaus umgewandelt. „Das Ziel ist doch, dass die Bestände 100 Jahre halten.“ Dafür sei die Betrachtung des Tragwerks, der Belichtung vor allem bei geplanten Wohnfunktionen und ganz allgemein der Nutzerbedürfnisse elementar.

Wo bleibt die Umbauordnung?

„Egal was wir umbauen, wir müssen uns an der Neubauordnung orientieren“, beklagt Projektentwickler Michael Ehret. „Es gibt keine Umbauordnung“. Sämtliche Regularien haben nach wie vor einen Neubau-Fokus, obwohl Umbau nachweislich ökologisch sinnvoller ist. Generell würden wir uns zu viel mit den Immobilien und zu wenig mit dem Nutzer beschäftigen. Wenn jemand dann mal jenseits von DIN-Normen baue, sei er in der Haftung. Auch das müsse man ändern.

Der Teufel steckt für viele Projektentwickler in den Details der Bauordnungen. Andreas Deilmann berichtet aus NRW, wo in Neubauwohnungen sämtliche Bäder barrierefrei geplant werden müssen. Oder in Essen, wo jede Neubau-Wohnung zwei Quadratmeter Abstellraum brauche. Beides verteuere natürlich enorm, weil der Platzbedarf höher ist. Auch über die Stellplätze und eine Ablöse, findet wiederum Dr. Thorsten Bischoff, müsse man diskutieren.

Und wie reagieren Städte auf neue Projektideen? Zumindest Andreas Deilmann fühlt sich mit offenen Armen empfangen. Seine Planungsgesellschaft hat ihren Schwerpunkt im Ruhrgebiet. Aktuell geht er ein Projekt – übrigens von Union Investment übernommen – in Dortmund an, ein Wohn- und Geschäftshaus aus dem Jahr 1953, das nicht mehr dem gängigen Marktstandard entspricht. Mit einem neuen Nutzungskonzept, Wohnungen in den Obergeschossen und Gastronomie im Erdgeschoss, soll die Innenstadt auch abends belebt werden. „Diese Mischung soll wieder zurück in die Städte“, so Andreas Deilmann, „das unterstützt die Politik natürlich.“ Aber man müsse es natürlich auch langfristig finanzieren. Dafür sei die Unterstützung der KfW erforderlich. Selbst zu transformieren sei etwas anderes, als an einen Investor zu verkaufen. Leider änderten die Förderprogramme sich laufend oder seien schnell ausgeschöpft.

Vierklang aus Förderprodukten, Vermietern, Mietern und Bauindustrie

Die Förderlandschaft ist differenziert, mit KfW, BAFA oder den Landesförderinstituten wie der IBB. Lokale Förderinstitute mit Marktkenntnis können dazu beitragen, sowohl Finanzierung als auch Tragfähigkeit von Transformationsprojekten zu optimieren, auch für die Mieter. Andreas Tied hat Verständnis für die Forderung der Branche nach mehr Unterstützung: „Klar, Förderprogramme sind nie genug. Wir brauchen langlebige Förderungen mit Konstanz über eine längere Zeit. Projektentwickler müssen planen können.“ Aber die Bedingungen verändern sich kontinuierlich, etwa durch mehr Homeoffice oder die Umbrüche im Einzelhandel. Und: „Allein durch staatliche Förderungen wird die Transformation nicht gelingen.“ Man brauche einen Vierklang aus Förderprodukten, Vermietern, Mietern und Bauindustrie. „Wenn alle meckern und trotzdem was machen, dann hat man eine gute Förderung hinbekommen“, sagt er augenzinkernd.

Einen Qualitätswettbewerb, nicht einen Preiswettbewerb, und entsprechend zeitgemäßere Ausschreibungen, das wünscht sich Michael Ehret. „Wir dürfen nicht in einem 1990er-Denkschema verharren“. Gerade transformiert ehret+klein das Kesselhaus in München zu einem Bürogebäude; im Betrieb der Immobilie würden die DIN-Normen gebrochen, weil man nicht noch mehr High-Tech wolle. „Mehr Verzicht, mehr Low-Tech – brauchen wir denn im ganzen Gebäude die gleiche Klimazone?“, so sein Statement. Ein smartes Gebäude sei nicht zwangsläufig durch mehr High-Tech gewährleistet.

Einig sind sich alle Akteure, dass Transformation auch eine riesige Kommunikationsaufgabe ist. Dr. Thorsten Bischoff bringt es auf den Punkt: „Unsere Aufgabe ist es, alle zu motivieren, ein gutes Projekt zu machen.“ Zunächst zu definieren, was ein gutes Projekt ist, ist eine gemeinsame Aufgabe. Sein Unternehmen, die VALUES, hat für ein Projekt in Osnabrück mit der Universität als künftigem Nutzer gleich mit dieser zusammen die Baubeschreibung abgestimmt. „So hat der Kunde einen Mehrwert und identifiziert sich mit der Immobilie.“ Auch Michael Ehret sieht die Beratungsaufgabe bei sich: „Denn der einzige, der in der Kette keine Ausbildung hat, ist der Bauherr. Den müssen wir beraten“.

Hohe Kosten ermöglichen nicht zwangsläufig hohe Mieteinnahmen, erst recht nicht in Zeiten kriselnder Märkte. Zumal – so ein Ergebnis der Befragung für die letzte Studie – die Akteure äußerst kostensensibel sind, oberhalb von 20 % Kostenunsicherheit sind nur 6 % der Befragten bereit, diese zu akzeptieren. Alternative Lösungen müssen also her. Michael Ehret: „Bei Bestandsoptimierung stellen wir immer die Frage: Kriege ich mehr Miete? Nein. Besser ist die Frage: Wie kann ich die Quadratmeter besser ausnutzen? Warum kann nicht der Besprechungsraum in der Anwaltskanzlei morgens als Yogastudio genutzt werden?“ Multicodierung optimiert die Miete, findet er. Langfristige Investoren müssten ihren Renditebegriff schärfen, die bloße Betrachtung von Kosten und Einnahmen greife mitunter zu kurz und schließe andere Wirkungen aus. Michael Ehret ist überzeugt: „Der Begriff der Stadtrendite wird wieder wichtiger werden“.

Fazit

In der Schlussrunde wurden alle Diskutanten nach ihren Prioritäten bzw. Wünschen gefragt. Henrike Waldburg wünscht sich mehr politischen Rückenwind: „Die Taxonomie ist nicht darauf ausgelegt, in Transformationsobjekte reinzugehen. Mein Wunsch ist, dieses Thema dort zu regeln.“ Für Andreas Deilmann als Endinvestor ist das zentrale Thema die Finanzierbarkeit, angefangen bei den Grundstückspreisen bis hin zu Förderungen: „Dieses Thema hat für uns Priorität.“ Andreas Tied sieht die größte Herausforderung in der energetischen Optimierung: „Wie kriegen wir auch gewerbliche Immobilien in einen guten Zustand?“, ist für ihn die Kernfrage. Allein von Energieeffizienzklasse G auf D zu optimieren, wäre schon ein großer Schritt. Ein wichtiges Ziel sei auch eine flexible Förderlandschaft – dafür brauche es ein Umdenken der Politik. Dr. Thorsten Bischoff beklagt die aktuelle Fokussierung auf den Betrieb der Immobilien. Das Problem sei die Graue Energie, also die Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung anfällt und die oft nicht in die Betrachtung einbezogen wird. „Im Bestand zu bleiben ist weniger Verschwendung. Mein Wunsch wäre es, dafür auch Zertifikate zu erhalten.“ Auch Michael Ehret ist es ein Anliegen, dass Graue Energie eingespart wird. Dafür würde er Menschen, die sich mit Transformationsimmobilien beschäftigen, incentivieren.

Mit dem Fazit „Transformation ist Teamsport!“, schließt Henrike Waldburg die Diskussionsrunde.

 

Hinweis: Die Aufzeichnung der Talkrunde können Sie hier ansehen.

Ansprechpartnerin: Sigrid Rautenberg, Leiterin Unternehmenskommunikation und Marketing, rautenberg@bulwiengesa.de

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