Einzelhändler lassen sich was einfallen, um die Frequenz zu erhöhen. In der Mall of Berlin beispielsweise wird regelmäßig getanzt.

Wie geht’s dem Einzelhandel?


Einzelhandel
13.10.2022 Autor/en: Dr. Joseph Frechen und Andrea Back-Ihrig

Der Einzelhandel erlebt nach Corona nicht die ersehnte Erholung, im Gegenteil: Das Konsumklima ist im Keller. Erstmals ist auch der Onlinehandel nicht mehr der natürliche „Krisengewinner“. Das zeigt der aktuelle Hahn Report, für den wir die konjunkturellen Bedingungen betrachtet und zahlreiche Branchen analysiert haben.

Das Wort „Rezession“ machte in diesem Sommer ganz selbstverständlich die Runde. Denn die erhofften positiven Impulse, die aus einer Lockerung der pandemiebedingten Beschränkungen folgen sollten, verpufften förmlich aufgrund unterbrochener Lieferketten sowie der Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland. Volkswirte führender Wirtschaftseinrichtungen gehen von schweren Zeiten für Unternehmen wie Verbraucher in Deutschland aus. Denn Deutschland, wie andere europäische Staaten auch, erlebt derzeit eine grundsätzliche Neuausrichtung, die alle vergangenen Herausforderungen zur Krisenbewältigung übertreffen. Entsprechend groß ist die Verunsicherung. Die Coronapandemie zwang Politik, Unternehmen und Verbraucher zu konsequentem und auch improvisiertem Handeln. Kaum wurde nach knapp zwei Jahren Pandemie Licht am Ende des Tunnels sichtbar, folgt – ohne durchzuatmen – der Ukraine-Krieg. Es ist eine Zäsur.

Und die Verbraucher? Sie reagieren mit Konsumzurückhaltung. Das GfK-Konsumklima stürzte im August 2022 auf einen neuen Tiefststand, der sogar das Rekordtief zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 unterschreitet. Die privaten Haushalte erleiden durch die hohen Verbraucherpreisanstiege einen Kaufkraftverlust, der im laufenden Jahr 2022 nicht durch einen Anstieg der Nettolöhne oder eine Zunahme von Transleistungen aufgefangen werden wird. Zwar reduzieren die Entlastungspakete der Regierung kurzfristig die Kaufkraftverluste, doch gänzlich aufwiegen können sie die Inflation nicht. Statt Ausgabefreudigkeit regiert Sparneigung, Anschaffungen werden zurückgestellt. Die vielfach erkämpften Lohn- und Einkommenssteigerungen werden aufgezehrt, reale Kaufkraftverluste zeichnen sich ab. Für den Einzelhandel insgesamt keine erfreulichen Rahmenbedingungen und Aussichten. Der Konsumschub zu Beginn des Jahres wurde durch gestörte Lieferketten gebremst. Jetzt stabilisieren sich die Lieferketten, aber die Nachfrage lahmt. Wobei die Kaufkraftdisparitäten in Deutschland nach wie vor erheblich sind. Die sichelförmige Verteilung der höchsten Kaufkraft von Hamburg über die Rheinschiene und das Rhein-Main-Gebiet bis Stuttgart bzw. München bleibt unverändert bestehen, obwohl die Stadt- und Landkreise der östlichen Bundesländer sukzessive an Kaufkraft hinzugewonnen haben.

Jedoch ist der deutsche Einzelhandel bislang sämtlichen Herausforderungen und exogenen
Schocks mit Kreativität und Anpassungsfähigkeit begegnet. Schon vor Beginn der Pandemie verschob sich der Fokus des Einzelhandels in Richtung digitaler Welt. Der Einzelhandel experimentiert und testet neue Lösungen. Insbesondere der Lebensmitteleinzelhandel schreitet mutig voran.

Onlinehandel wächst nicht mehr linear

Zwei Jahre lang hat sich die Pandemie als der Wachstumstreiber des Onlinehandels erwiesen. Nichtsdestotrotz ist der Onlinehandel nicht mehr der natürliche „Krisengewinner“. Stieg der Online-Umsatz im Jahr 2020 um beachtliche 23 Prozent, wurde im Jahr 2021 das Wachstum in absoluten Umsatzzahlen übertroffen, er stieg um 19 Prozent an. Diverse Marktbeobachter sind sich einig, dass dieses hohe Wachstumstempo nicht linear fortgeschrieben werden kann, jedoch ein weiterer Anstieg des Onlinehandelsumsatzes zu erwarten sei. Der Onlinehandel gewinnt weitere Marktanteile, jedoch entfallen inzwischen auch erhebliche Umsätze auf die Online-Stores von im stationären Einzelhandel beheimateten Anbietern – mit unterschiedlichen Tendenzen je nach Branche.

Natürlich werden wir beobachten müssen, dass nicht alle Unternehmen die gegenwärtigen Herausforderungen überstehen werden. Es wird erneut Unternehmen und Konzepte geben, die die erforderlichen Anpassungen nicht mehr aus eigener Kraft stemmen können. Auch gibt es Einzelhandelsbranchen, die unter der aktuellen Konsumzurückhaltung stärker in Mitleidenschaft gezogen werden als andere. Die Zuversicht, dass das Gros des Einzelhandels eine Antwort auf die aktuelle Lage findet, besteht unverändert fort. Der Handel hat das in der Vergangenheit oft genug bewiesen.

Händlerbefragung: Jeder Zweite will expandieren

Interessant sind auch die Ergebnisse einer im Sommer durchgeführten Befragung von der Hahn Gruppe in Zusammenarbeit mit dem EHI Retail Institute im aktuellen Report: So bleibt trotz der derzeitig erschwerten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Anteil der expansiven Filialisten auf einem ähnlich hohen Niveau wie im Vorjahr. Wie 2021 gibt auch aktuell über die Hälfte der befragten Expansionsverantwortlichen an, die Standortanzahl bis zum Jahresende 2022 gegenüber dem Vorjahr erhöhen zu wollen. Befragt wurden Expansionsverantwortliche aus dem Einzelhandel, der Gastronomie und von filialisierten Dienstleistungen. Die noch im Vorjahr nach der längeren Lockdown-Phase vorherrschenden optimistischen Umsatzerwartungen der Einzelhändler werden in diesem Jahr eingetrübt durch das insgesamt schwierige Marktumfeld sowie die gedämpfte Konsumstimmung der Verbraucher. So rechnen 21 Prozent mit sinkenden Umsätzen (Vorjahr: 9 Prozent) bzw. 10 Prozent sogar mit deutlich sinkenden Umsätzen (Vorjahr: 1 Prozent) in der zweiten Jahreshälfte 2022 gegenüber der Vorjahresperiode. Knapp ein Drittel erwartet bis zum Jahresende stabile Umsätze. Der Anteil an Experten, die zusammengefasst steigende beziehungsweise deutlich steigende Umsätze prognostizieren, ist im Vorjahresvergleich von 59 Prozent auf 38 Prozent gesunken. Zu den Optimisten zählen nach nunmehr zweieinhalb Corona-Jahren mit teils gravierenden Umsatzeinbußen vornehmlich Vertreter aus den Branchen Bekleidung, Schuhe & Accessoires und Möbel.

 

Hinweis: Der 17. Retail Real Estate Report kann auf der Website der Hahn Gruppe heruntergeladen werden.

Ansprechpartner: Dr. Joseph Frechen, Bereichsleiter Einzelhandel und Niederlassungsleiter Hamburg, frechen@bulwiengesa.de, und Andrea Back-Ihrig, Bereichsleiterin Einzelhandel Frankfurt, back@bulwiengesa.de

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