Zeitenwende in der Immobilienbranche?
Wohl kaum jemand hat damit gerechnet, dass wir nach der wirtschaftlichen und geopolitischen Zäsur im Frühjahr 2022 das Jahr ohne große Rezession beenden. Aber ist Deutschland wirtschaftlich noch so kraftvoll, wie es in vielen Augen noch erscheint? Eine volkswirtschaftliche Einschätzung und immobilienwirtschaftlicher Ausblick.
Gerade meldet das statistische Bundesamt ein Wachstum von 1,8 % für 2022. Auch die Vorzeichen für das Jahr 2023 stehen recht gut. Das Konsumklima erholt sich seit letztem Oktober kontinuierlich.
Aber ist es wirklich so? Ist Deutschland wirtschaftlich noch so kraftvoll, wie es in vielen Augen noch erscheint? Mitnichten.
Die Bundesregierung hat Entlastungspakete inkl. Strom- und Gaspreisbremse von max. 225 Mrd. EUR verabschiedet, verteilt bis 2024. Eine Hilfe für Viele, ohne Frage. Und der inflationsbedingte Kaufkraftverlust kann u.U. durch Umwandlung von Sparguthaben in Konsum und zusätzlichen Konsum von einer Million Zugewanderten aus der Ukraine ausgeglichen werden.
Die strukturellen Probleme bleiben jedoch bestehen. Inzwischen hat Deutschland seit der Finanzkrise 2008 1,7 Billionen EUR in Sondervermögen angehäuft. Nach dem Corona-Fonds, an dem Deutschland mit 177 Mrd. EUR beteiligt ist, kommen nun noch 100 Mrd. EUR für die Bundeswehr dazu. Das wird wohl auch nicht das letzte Wort sein.
Ebenso trifft „die Wirtschaft“ – Unternehmen genauso wie Verbraucher – die Entwertung aller Ansprüche wie Gehälter, Sparguthaben, Lebensversicherungsverträge, Mietverträge ohne Indexklauseln etc., die vom Jahresbeginn 2021 bis Oktober 2022 ganze 12 % betrug. Betroffen sind auch die Forderungen aus sogenannten Target-Krediten – vereinfacht: zwischenstaatliche Kredite – der Deutschen Bundesbank in Höhe von 1,23 Billionen Euro; der Verlust hieraus beträgt alleine 148 Milliarden Euro. Die Inflation kam, um zu bleiben – und weitere Verluste drohen.
Vor diesem Hintergrund muss die von vielen Politikern und Experten postulierte Zeitenwende zu einer ökonomischen, politischen und strukturellen Veränderung führen: Steuerpolitisch wird es Zeit, die Umverteilung von oben nach unten zu stärken und eine gerechtere Versteuerung der Einkommen zu etablieren. Von einer Stärkung der breiten Kaufkraft profitieren letztlich alle.
Energiepolitisch ist es schwer verständlich, dass Deutschland die Verantwortung nicht angemessen wahrnimmt. Weder werden erneuerbare Energien so vorangetrieben, wie es die Umstände erfordern, noch die vorhandenen Energieträger entsprechend genutzt. Auch die Digitalisierung kommt nicht recht voran. Das betrifft nicht nur die Haushalte und Unternehmen auf dem Land, sondern geht tief in die Forschung und Produktion. Und dass die Abhängigkeit von China Probleme bereitet und bereiten wird, ist mittlerweile Konsens.
Müssen wir nun mit hängendem Kopf ins Jahr starten? Die Antwort ist wie oben: mitnichten.
Wir können auf einen gut funktionierenden Mittelstand mit einer sehr diversifizierten Wirtschaftsstruktur zurückgreifen. Hier gilt es zu fördern, anstatt weitere bürokratische Hürden aufzubauen. Das Land ist intelligent. Das muss so bleiben, bedeutet aber die Umlenkung von Ressourcen in Bildung und Gesellschaft. Dazu gehört eine aktive Einwanderungspolitik – alleine können wir es nicht schaffen. Innovationen müssen aufgegriffen werden. Biontech ist ein gutes, bekanntes Beispiel. Es gibt weitere aus der Medizin und Umwelttechnik.
Was heißt diese Zeitenwende für unsere Branche?
Wie oben gesagt ist die Inflation gekommen, um zu bleiben. Gleiches gilt für die Zinsen. Insofern verlassen wir eine Dekade (bzw. zwei Dekaden mit einer kurzen Unterbrechung) mit einer Sonderkonjunktur für die Immobilienwirtschaft. Auch wenn viele sagen, dass wir uns jetzt neu orientieren müssen, müssen wir uns nur daran erinnern, wie es war mit Inflation und Zinsen. Wie damals wird auch heute wieder die Qualität der Projekte in den Vordergrund gerückt. Die immobilienwirtschaftliche Nachhaltigkeit wird bei Projektentwicklung und Ankauf als Beurteilungskriterium wichtiger als prospektive Wertsteigerung.
Was gesamtwirtschaftlich gilt, trifft jedoch auch auf die Immobilienwirtschaft zu: Energetische Herausforderungen müssen bewältigt werden, Bürokratisierung im Sinne von Bauvorschriften müssen „entkernt“ werden, und digitale Prozesse in der Projektentwicklung und beim Bau sind Voraussetzung für eine funktionierende Immobilienwirtschaft.
Dieser Wandel wird alle Unternehmen beschäftigen und Konsequenzen für interne Abläufe und Qualifikation haben. Darüber hinaus werden neue Wege beschritten werden müssen, um steigende Energiepreise zu kompensieren und zukünftige Kriterien für ESG erfüllen zu können.
Alles in allem wird die nächste Dekade dem Immobilienbestand und dem Assetmanagement gewidmet, mit den erwähnten Konsequenzen für Bauvorschriften (die in der Regel eher für den Neubau als für den Bestand entwickelt wurden), Prozesse und natürlich auch für die Qualifizierung der Mitarbeitenden.
Ansprechpartner: Ralf-Peter Koschny, Vorstand, koschny@bulwiengesa.de
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