Die Erfindung der A-Stadt

Die Geschichte der Klassifizierung der Städte begann lange vor den heute bekannten Stadtkategorien. Begriffe wie Großstadt, Mittel- und Kleinstadt waren geografisch geprägt, die Abgrenzung erfolgte nach Einwohnerzahl. Darüber hinaus gab es das Christaller-Modell, das Größe, Verteilung, Lage und Bedeutung von zentralen Orten anhand ihrer inneren und äußeren Reichweite darstellt und in der Raumwissenschaft seit den 1960er-Jahren angewendet wird.

Der Nutzen für die Immobilienwirtschaft war jedoch eingeschränkt, weil der Blick auf die Immobilien als Investment, Vermögen oder Kapitalanlage fehlte. Erste Versuche einer spezifischeren Standortkategorisierung unternahm zu Beginn der neunziger Jahre die DB Immobilien (Heidelberg). Diese listete die vier Gruppen Großstädte/Investmentzentren, Landeshauptstädte, andere größere Städte und Mittelstädte auf. Je Standortkategorie wurde ein Mittelwert berechnet.

Für die Bedarfe der damaligen Bulwien AG war diese Klassifizierung unzureichend. Hartmut Bulwien war es ein Anliegen, für die Markt- und Standortanalysen präzisere Zuordnungen zu etablieren. Zudem hatte der Firmengründer bereits in den achtziger Jahren den Immobilienindex für Mieten und Preise in 49 westdeutschen Städten publiziert (bis heute sind wir stolz, die längste Datenreihe Deutschlands fortzuschreiben). Zu Beginn der 1990er-Jahre benötigten wir also eine neue Kategorisierung. Ausschlaggebend waren die Überlegungen, wie nach der Wiedervereinigung Städte in der ehemaligen DDR mit Städten in der alten Bundesrepublik verglichen werden können. Um eine lageorientierte und pragmatische Klassifikation zu entwickeln, orientierten wir uns dann an dem Begriff der A- und B-Lagen für Immobilien und leiteten davon die sogenannten A-, B, C- und D-Städte ab. Heute wie zu Beginn der 1990er-Jahre sind immobilienwirtschaftliche Kennziffern wie Bestandsflächen oder Mietentwicklungen die Grundlage der Zuordnung. Die Gründung der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung gif e.V. 1993 hat diese strengere Definitionspraxis ebenfalls unterstützt.

Und nicht nur die großen Städte sollten im Fokus stehen. Ziel war, auch die Immobilienmärkte weiterer Städte in Deutschland mit mehr als 60.000 Einwohnern im bulwiengesa-Immobilienindex zu analysieren – in ihrer immobilienwirtschaftlichen Relevanz, und nicht nur mit dem Bundesland als Zuordnung. Hieraus ist eine Zusammenstellung von 127 RIWIS-Städten entstanden, die auch durch die Marktnachfrage bekräftigt wurde. Der bulwiengesa-Immobilienindex wird einmal jährlich veröffentlicht und ist jedem Interessierten kostenfrei zugänglich. Neben dem Immobilienindex für Mieten und Preise sind Zeitreihen nach Stadtgruppen in der immobilienwirtschaftlichen Analyse wichtig.

A-Städte

Wichtigste deutsche Zentren mit nationaler und z.T. internationaler Bedeutung. In allen Segmenten große, funktionsfähige Märkte. Bsp: Büroflächenbestand (BGF) über 7 Mio. qm, Umsätze im langjährigen Mittel über 150.000 qm, Spitzenmieten im langjährigen Mittel mindestens 16 Euro/qm.

B-Städte

Großstädte mit nationaler und regionaler Bedeutung. Bsp: Büroflächenbestände zwischen 2 und 5 Mio. qm, Umsätze i.d. R. über 35.000 qm, Spitzenmieten im langjährigen Mittel mindestens 12 Euro/qm.

C-Städte

Wichtige deutsche Städte mit regionaler und eingeschränkt nationaler Bedeutung, mit wichtiger Ausstrahlung auf die umgebende Region.

D-Städte

Kleine, regional fokussierte Standorte mit zentraler Funktion für ihr direktes Umland; geringeres Marktvolumen und Umsatz.

Schon kurz nach Start kam es zu Umgruppierungen. So bestätigten sich beispielsweise für Leipzig als A-Stadt die Erwartungen nicht. Auch in Zukunft kann sich die Zusammensetzung der Städtegruppen von bulwiengesa wegen der sich wandelnden immobilienwirtschaftlichen Attribute verändern; wünschenswert wäre, wenn dies ein Ansporn für Städte wäre; zugleich werden die Entwicklungszyklen berücksichtigt.

Die Begriffe A-, B-, C- und D-Stadt sind im Immobillienmarkt heute weit verbreitet und zum Branchenstandard geworden. Seit 2003 wird diese Clusterung in den Bundesbankberichten eingebunden. Generell wird nicht immer eng an der Zuordnung von bulwiengesa gearbeitet; neben den 127 Städten lassen sich auch weitere Orte nach A bis D einordnen. Und auch wenn streng definitorisch nicht von E- oder gar F-Städten gesprochen wird und deren immobilienwirtschaftlichen Attribute geringer ausgeprägt sind: Auch sie können ebenfalls interessant sein beispielsweise für die Segmente Einzelhandel, Senioren, Wohnen oder Logistik.

Für einen sehr föderal strukturierten Immobilienmarkt hilft diese pragmatische Gruppierung – uns und der Branche, das haben die 30 Jahre seit „Erfindung“ bewiesen.