„Ich wollte nie Unternehmer werden“

bulwiengesa: Seit 17 Jahren sind Sie nicht mehr im operativen Geschäft aktiv, aus dem Aufsichtsrat von bulwiengesa haben Sie sich auch zurückgezogen, mittlerweile Ihre Aktien an Jüngere verkauft. Wie schwer fällt es Ihnen, sich zurückzuziehen?

Hartmut Bulwien: Mir ist es nie schwergefallen, loszulassen. Auch nicht, als ich mich langsam aus dem Tagesgeschäft langsam zurückgezogen habe. Mein ursprüngliches Ziel war, mit 60 Jahren aufzuhören. Es sind dann noch zwei Jahre mehr geworden. Ich wollte, dass Jüngere ans Ruder kommen und hatte meine Nachfolge gut geregelt. Das Unternehmen ist gut aufgestellt und ich bin sehr stolz, dass man mit dieser Marke überall hingehen kann.

Was hat Sie an der Selbstständigkeit gereizt?

Ich habe Geografie in Bochum und München studiert und zunächst beim Marktforschungsinstitut METRA DIVIO angefangen. Dann kam ich Ende 1976 zum Roland Berger Forschungs-Institut. Dort bin ich in die Immobilienbranche hineingerutscht, was damals für Geografen ein völlig unüblicher Berufszweig war. Auf meinem Tisch lag die Auswertung einer empirischen Erhebung zum Düsseldorfer Wohnungsmarkt. Ein Großprojekt, denn es bestand aus mündlichen 10.000 Interviews mit je 64 Fragen. Rund anderthalb Jahre waren wir gemeinsam mit dem Ifo-Institut mit der Auswertung beschäftigt – und das ohne elektronische Hilfe. Nach rund sechs Jahren in der Unternehmensberatung dachte ich: Was die können, kann ich auch allein. Aber eigentlich wollte ich nur zeitweise in die Selbstständigkeit und hoffte, irgendwann bei einer Fondsgesellschaft oder Ähnlichem zu landen. Unternehmer wollte ich nie werden.

Wie fingen Sie damals an?

1983 gründete ich das „Münchner Institut für Markt-, Regional- und Wirtschaftsforschung“. Ich kooperierte mit dem Unternehmensberater Dr. Rolf Seebauer, der sich gleichzeitig selbständig machen wollte. Zwei getrennte Firmen, aber ein gemeinsames Büro, zunächst in einer ungenutzten Wohnung in der Widenmayerstraße in München. Kurz darauf zogen wir an den Prinzregentenplatz –Später kam Bernd Heuer mit seiner Managementberatung (insbesondere Personal und Kommunikation) dazu, den ich bereits seit 1977 kannte. Gemeinsam veranstalteten wir ab 1979 die ersten Bauträgerseminare.

Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie Marktstudien ohne Datenbank, Computer etc. erstellt wurden.

Das war in der Tat mühsam und ein großer Aufwand. Lange machten wir ja nur Studien zum Wohnungsbau und mussten die Bauträger überzeugen, dass künftig Marktstudien in einem schwächelnden Markt sinnvoll seien. Die Grafiken habe ich noch mit der Hand auf Millimeterpapier gezeichnet.

 

Abb.: Handzeichnung von Hartmut Bulwien aus dem Jahr 1978 für eine Studie zur Beschäftigtenentwicklung auf dem Frankfurter Flughafen.

Handzeichnung von Hartmut Bulwien aus dem Jahr 1978 für eine Studie zur Beschäftigtenentwicklung auf dem Frankfurter Flughafen.

 

Die erste Anschaffung in meinem Büro war eine Schreibmaschine für damals horrende 5.000 DM, die drei Seiten speichern und eine Zeile löschen konnte. Sie steht heute im Deutschen Museum! Meine damalige Mitarbeiterin Barbara Plate hat darauf gedrungen, mit Apple zu arbeiten: Apple Macintosh 128 KB, 9“ Monitor für 7.200 DM, danach der erste „Portable“, 40MB, 7,2kg, 11.000 DM. Neben der EDV hat vor allem die beginnende drahtlose Kommunikation mit den anfangs noch sehr unhandlichen Funktelefonen (SIEMENS C3, 2,4kg, 5.800 DM) vieles revolutioniert. Kurz darauf legten wir auch die RIWIS-Datenbank an. Daten gesammelt haben wir aber schon immer.

Diese technischen Hilfsmittel haben es uns erst ermöglicht, Datenbanken aufzubauen. Begonnen haben wir schon Mitte der 1980er-Jahre mit der Vorstufe zum Immobilienindex, der bis heute die längste Zeitreihe auf dem Immobilienmarkt darstellt und von der Deutschen Bundesbank nach wie vor als besonders neutral angesehen wird und u.a. im jährlichen Finanzstabilitätsbericht Verwendung findet.

Der Aufbau von RIWIS erfolgte dann Mitte der 2000er-Jahre und ist wohl das größte Erfolgsprodukt unseres Unternehmens.

Ein wichtiger Teil Ihres Berufslebens bestand aus Ihrer Tätigkeit als Dozent. Wie kamen Sie dazu?

1989 kam Professor Karl-Werner Schulte zu mir ins Büro und trug mir seine Idee einer wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung vor. Bis dahin gab es nur wenige Ansätze zur immobilienwirtschaftlichen Forschung auf wissenschaftlicher Ebene. Anfangs war ich skeptisch. Aber ein Jahr später startete der erste Weiterbildungslehrgang an der Immobilienakademie der European Business School in Oestrich-Winkel. Ich war vom ersten Jahrgang dabei. Daraus sind für mich 42 Jahrgänge – auch in München, Berlin und Essen – bis 2012 geworden.

Der nächste Schritt war 1993 die Gründung der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif e.V.), in der ich 20 Jahre lang Vorstand und davon zehn Jahre Präsident war. Es war nicht einfach, 27 Gründungsmitglieder zusammen zu bekommen, und auch beim Eintrag ins Vereinsregister gab es Schwierigkeiten. Der zuständige Amtsrichter war der Ansicht, Immobilienwirtschaft könne nicht Gegenstand von Forschung und damit auch nicht gemeinnützig sein.

War es klug, so viel Wissen gewissermaßen zu verschenken?

Auf jeden Fall: Ich habe sehr davon profitiert, mit dem Wissen rauszugehen. Dadurch musste ich kaum direkte Akquisition machen. Letztlich haben wir auch davon gelebt, dass durch Publikationen, Vorträge und meine Dozententätigkeit sehr viele Kontakte entstanden sind und sich daraus Aufträge ergeben haben. Eine gute Vernetzung – auch in Verbänden, Vereinen und anderen Organisationen – und ein hoher Bekanntheitsgrad sind in dieser eher überschaubaren Branche elementar. Zumal wir ja längst nicht mehr konkurrenzlos sind. Aber abgesehen davon halte ich die Weiterbildung im akademischen Bereich für sehr wichtig.

Stichwort Vernetzung: Die Expo Real haben Sie auch mitgegründet.

Bernd Heuer hatte Anfang der 1990er-Jahre die erste internationale Immobilienmesse MIPIM in Cannes begleitet, an der wir vom zweiten Jahr an teilgenommen haben. Mehrere Messegesellschaften in Deutschland überlegten, ob und wie man den Erfolg dieser Messe duplizieren und nach Deutschland übertragen könnte. Die Münchner waren hier am schnellsten und so wurde mit einem kleinen Kreis von Immobilienexperten, darunter auch meine Wenigkeit, die Expo Real gegründet. Es war für mich eine sehr spannende Geschichte. Damals hat niemand von uns geahnt, wie erfolgreich die Messe mal werden würde. Noch heute gehöre ich dem Fachbeirat an, als einer der wenigen, die von Anfang an dabei waren.

Wie hat sich das Profil von bulwiengesa im Laufe der Jahre verändert?

Anfangs haben wir uns überwiegend mit dem Wohnsegment beschäftigt. Unsere Zielgruppe waren klassische Bauträger (ein Begriff, den bis dahin niemand kannte!) und Projektentwickler. Nach und nach kamen wir auch in das Investmentgeschäft vor allem mit Fondsgesellschaften und Versicherungen. Erst später kamen auch Kommunen und Banken dazu. Ab den 1990er-Jahren beschäftigten wir uns sehr erfolgreich mit den Büromärkten, die bis dahin kaum jemand von der Beratungsseite im Griff hatte. Eine Lücke hatten wir lange beim Thema Einzelhandel. Daher arbeiteten wir eng mit der gesa GmbH zusammen, mit der wir dann auch 2004 fusioniert haben und damit auch ein Büro in Hamburg bekamen.

Worauf haben Sie als Chef am meisten Wert gelegt?

Auf Genauigkeit, die Prüfung der Dinge. Qualität in die Arbeit zu bringen. Die Studien einfach zu formulieren und lesbar zu machen, denn die meisten Kunden hatten in der Anfangszeit keine oder nur wenig Ahnung von Marktforschung oder volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Ich habe immer darauf Wert gelegt, integre Mitarbeiter einzustellen, und nicht Karrieristen. Ich glaube, das ist mir auch gelungen, denn viele Mitarbeitende, vor allem in der Führungsebene, sind schon teilweise 30 Jahre und mehr an meiner Seite.

Was waren im Rückblick für Sie Meilensteine in der immobilienwirtschaftlichen Entwicklung?

Einschneidend war natürlich die deutsche Wiedervereinigung. 1991 gingen wir mit einem Büro nach Berlin. Zunächst waren wir in einer Dachgeschosswohnung mit zwei Bädern am Olivaer Platz, später in der Rankestraße. Von der Immobilienseite her stellten uns die neuen Bundesländer vor große Herausforderungen: Wie sollte man einen Markt beurteilen, auf dem es keine regulären Mieten und erst recht nicht Preise gab? Auf dem so gut wie nichts verkauft wurde und kaum Daten existierten – und wenn, waren sie meist bewusst gefälscht. Und dann trat die Treuhand an uns heran. Sie bat uns den Immobilienbedarf in den neuen Ländern zu prognostizieren, und das bitteschön regionalisiert! Wir haben dazu ein eigenes Verfahren entwickelt. Viele unserer Prognosen waren richtig. Allerdings hatten wir mit einem schnelleren Angleichen der Verhältnisse in Ost und West gerechnet, was leider – von Berlin einmal abgesehen – bis heute noch nicht ganz erreicht wurde.

Ein gutes Stichwort – was waren richtige Prognosen, wo irrten Sie?

Vorhergesehen haben wir die Krise zu Beginn dieses Jahrhunderts. Wir wussten aus unseren Daten, welche Büros auf den Markt kommen. Da war klar, dass sich ein großer Leerstand aufbauen würde, der rund ein halbes Jahrzehnt später seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Aber Bauträger denken oftmals nur von heute auf morgen und prüfen nicht immer alle Faktoren.

Nicht vorhergesehen haben wir die Subprime-Krise. Die hat uns überrascht, zumal der Zyklus schon fünf, sechs Jahre lief. Und auch die Bevölkerungsexplosion in vielen Städten – unter anderem bedingt durch den Zuzug von Flüchtenden – haben und konnten wir nicht voraussehen. Insofern ist auch der akute Wohnungsmangel in dieser Größenordnung unerwartet, der sich durch die aktuelle Krise natürlich noch einmal verschärft hat.

Die aktuelle Krise kam ja für alle überraschend.

Wir hatten immer auch Zeiten, die schwierig waren. Und der Immobilienmarkt hat auch mit 5%- Zinsen oder sogar mit zweistelligen Raten funktioniert. Die Inflation war eigentlich immer ein positives Momentum für die Immobilien – Flucht in Sachwerte. Aber die Veränderungen gingen immer über mehrere Jahre und nicht so spontan wie aktuell. Und vor allem: Wir kommen aus der längsten positiven Immobilienkonjunktur, die es je gegeben hat.

Ihr Blick in die Zukunft?

Ich denke, wir werden noch ein schwieriges Jahr vor uns haben und auch 2024 wird es nicht viel besser. Zur Zeit haben wir zu viele Unwägbarkeiten wie die Klimaproblematik, den Krieg in der Ukraine, Migration etc. Das erschwert eine schnelle Wiederbelebung.

Aber dauerhaft bleibt der Immobilienmarkt ein interessantes Bearbeitungsfeld, auf dem sich die bulwiengesa AG mit ihren qualifizierten Mitarbeitenden gut behaupten wird.

Vielen Dank!

Die Fragen stellte Sigrid Rautenberg