Die große Transformation – welche Nutzungen machen Handelsimmobilien resilienter?
Ein Warenhaus steht leer, im Shoppingcenter häufen sich die Lücken. Was tun? Platz wäre für ein Hotel, ein City-Logistik-Lager, Senioren- oder Studentenwohnungen oder kleinere Produktionen. In einem gemeinsamen Webinar mit Union Investment wurden Möglichkeiten und Herausforderungen von Mixed Use aufgezeigt.
Ob Gastronomie, Bibliothek, Kino oder Fitnessstudio – die Kombination von Handelsnutzungen mit anderen Nutzungen ist seit Jahren ein Erfolgsfaktor im Betrieb und der Entwicklung von Handelsimmobilien. Eine gute Mischung macht die Orte auch für Kunden attraktiver und bringt Frequenz in die Innenstädte. Das Thema Mixed Use ist keineswegs neu. Neu ist jedoch der Druck auf Eigentümer, aber auch Kommunen und Städte, sich mit drohendem Leerstand und möglichen Nachnutzungen auseinanderzusetzen.
Zu dem Webinar von Union Investment – selbst Eigentümerin von mehr als 80 Einzelhandelsimmobilien in 15 Ländern – und bulwiengesa als unabhängigem Immobilienanalysten und -berater waren auf verschiedene Immobiliensegmente spezialisierte Akteure eingeladen worden, ihre Konzepte zur Nachnutzung vorzustellen. Das Thema stieß auf enormes Interesse, mehr als 1.100 Anmeldungen waren eingegangen, rund 750 Teilnehmer sahen den Livestream. Moderiert wurde die Veranstaltung von Henrike Waldburg, Abteilungsleiterin Investment Management Retail bei Union Investment und Ralf-Peter Koschny, Vorstand und Einzelhandelsexperte bei bulwiengesa.
USA: Logistik-Nachnutzungen erste Wahl
Doch zunächst ein Blick in die USA, dargelegt in der Keynote von Kseniya Merritt, Head of Retail Investments North America bei Union Investment Real Estate. Der Druck in den USA ist durch ein enorm gewachsenes Volumen an E-Commerce größer als in Deutschland – jede dritte Mall hat bereits geschlossen, 17 Prozent werden in den nächsten fünf Jahren schließen müssen. Die Warenströme steigen stark an, zudem ist der Bedarf an Lagerflächen für den Onlinehandel deutlich höher als für den stationären Handel. Dadurch rückt das Thema Logistik-Nachnutzung gerade bei Umwandlungen von Malls in der Peripherie in den Fokus. Der Konvertierungsdruck bei innerstädtischen Department Stores resultiert vor allem aus der Schwäche dieser Vertriebslinie. Merritt zeigte Beispiele von Hotels und Wohnungen in umgebauten Department Stores und verdeutlichte, wie Umnutzungen baulich-räumlich umgesetzt werden können.
Kein Patentrezept für die richtige Mischung
Dass es nicht erst seit der Corona-Krise bei Handelsimmobilien brodelt und eine große Transformation ansteht, betont auch Dr. Joseph Frechen, Bereichsleiter Einzelhandel bei bulwiengesa. Das liegt vor allem an
- der sinkenden Flächennachfrage schon vor Corona,
- der schwierigen Nachvermietung von Großflächen, da sich die Mieter verjüngen und weniger Großflächen nachfragen,
- stagnierenden bis sinkenden Mieten bis in die Highstreets hinein,
- der Rückbesinnung der Verbraucher auf lokale Händler und Gastronomie,
- wachsender Kundenorientierung des Handels, Stichwort Omnichannel, sowie
- der steigenden Nachfrage nach wohnortnaher Versorgung.
Viele freie Flächen entstehen derzeit durch den Rückgang der Warenhäuser. So gab es 1993 noch 375 Karstadt-/Kaufhof-Warenhäuser, 2021 werden es noch 130 sein. Im selben Zeitraum sind allerdings auch viele Shoppingcenter entstanden – von 179 Centern im Jahr 1995 bis zu 489 im vergangenen Jahr. Ohne Zweifel wird die Transformation auch einige Shoppingcenter in Gänze bzw. Teilflächen davon betreffen.
Dass allen voran der Onlinehandel für das Ladensterben und damit freie Flächen verantwortlich ist, ist kein Geheimnis: Heute wird mehr als 70 Mrd. Euro Einzelhandelsumsatz im Bereich Online erzielt. Das entspricht einer Fläche von 18 Mio. qm – mehr als alle Shoppingcenter in Deutschland zusammen.
Ein Patentrezept für die ideale Nachnutzung gibt es nicht. Wie so oft entscheidet die richtige Dosis, und bei der jeweiligen Prüfung für die geeignete Nutzung sind die Gegebenheiten des Makro- und Mikrostandorts miteinzubeziehen, das lokale Marktgefüge, die gewünschte Positionierung oder mögliche Konflikte mit der Nachbarschaft. Und selbst innerhalb einer Assetklasse muss genau hingeschaut werden: Während ein Budget-Hotel vielleicht eine gute Ergänzung im Nutzungsmix darstellt, kann ein Upscale-Hotel zwar positiv auf Wohnnutzungen abstrahlen, sich aber nicht mit einem Micro-Logistik-Hub vertragen.
Diskussionsrunde: Konzepte für künftiges Mixed Use
Teilnehmer der Diskussionsrunde waren
- Francisco Bähr, Geschäftsführender Gesellschafter, FOUR PARX | Logistik
- Markus Beugel, Aufsichtsratsvorsitzender, GBI | Micro Living
- Dr. Peter Ebertz, Managing Director und Head of Hotels, Art Invest | Hotelentwicklungen
- Harald Ortner, Geschäftsführer, HBB | Projektentwicklung Handel/Seniorenwohnen
- Hendrik Staiger, Vorstand, Beos | Logistik
Logistiknutzungen
Ehemalige Warenhäuser eigenen sich für Logistiknutzungen, allerdings nur für Micro-Hubs. Die kleinen Auslieferungslager stellen die Versorgung auf der sogenannten Letzten Meile sicher und können beispielsweise von Kleintransportern und Lastenfahrrädern angefahren werden. Die zentrale, verkehrstechnisch gut angebundene Lage macht diese Flächen attraktiv. Freie Baugrundstücke, die auf den Markt kommen und bei denen sich Investoren geradezu überbieten, sind für Logistiker aus ökonomischer Sicht jedoch kaum realisierbar. Eine bessere Ausnutzung vorhandener Flächen ist anzustreben. Nichtsdestotrotz muss sich die Bereitschaft von Logistikern, künftig mehr Miete zu zahlen, erhöhen. Zugleich braucht es dringend mehr Akzeptanz für diese Nutzungsart, wofür die Reduzierung der Verkehre elementar ist. Ein innovatives Konzept von FOUR PARX ist das Smart City Hub, das in Hamburg in Vorbereitung ist. In unterirdischen Fahrrohrleitungen sollen Güter in Ballungsräumen und Großstädten vollautomatisch transportiert werden.
Die Flächenkonkurrenz für das Segment Logistik ist vor allem zu Wohn- und Büronutzungen groß. Als kleine Beimischung in urbanen Quartieren bieten sich Micro-Hubs an. Wichtig ist die Frage nach der Andienung, also der Zufahrts-, Be- und Entlademöglichkeiten: So lange diese Hubs, mit Größen von maximal einigen hundert Quadratmetern, mit Lastenfahrrädern angefahren werden können, passen diese gut in Shoppincenter. Bei größeren Logistikflächen werden Fragen nach der Traglast oder Deckenhöhe akut, und auch das innerstädtische Umfeld ist meist wenig begeistert. Beos hat gerade ein gemischt genutztes Neubauprojekt mit flexiblen Flächen entwickelt, bei dem auch Flächen für Forschung und Entwicklung untergebracht sind. Denn junge, hochqualifizierte Leute zieht es in die Innenstadt, wo alles nah beieinander ist.
Wohnnutzungen
Innenstädte sollen Treffpunkte sein und nicht mehr bloß dem Einkaufen dienen. Wohnen als Funktion zurück in die Innenstädte zu bringen ist daher eine Chance, nachts leere Fußgängerzonen zu beleben. Gerade Menschen in Mikrowohnungen oder Studierende – die immer seltener ein Auto haben – gehen gerne nach draußen. Die City ist quasi ihr außenliegendes Wohnzimmer, Gastronomie und Entertainment fallen auf fruchtbaren Boden. Allerdings müssen sich Projektentwickler an den Mietpreisen für Wohnen orientieren, und nicht an Preisen, wie sie für Einzelhandel oder Büros erzielt werden können. Wenn in Mieten von 20 Euro/qm auch die Verkehrsflächen inbegriffen sind, anders als bei Büro- oder Einzelhandelsnutzungen, müssen sich Eigentümer bewegen. Die bisher in diesen Lagen üblichen Mieten kann die Wohnungswirtschaft nicht bedienen.
Auch für alte Menschen in Seniorenimmobilien ist eine zentrale Lage der Einrichtung ein großer Vorteil, auch weil Angehörige ihren Besuch gerne mit anderen Erledigungen in der Stadt verbinden. Nicht immer jedoch ist ein Pflegeheim auch der Wunsch des Betreibers, der schon mal einem H&M den Vorzug gibt. Auch wollen manche Städte in ihren Innenstädten keine Pflege – Menschen mit Gehhilfen werden oft nicht als belebendes Element in Fußgängerzonen angesehen. Gute Erfahrungen haben Investoren bei der Vermietung an die öffentliche Hand gemacht. Bei sehr langen Mietvertragslaufzeiten von 20 bis 30 Jahren fließen die Einnahmen verlässlich.
Hotelnutzungen
Hotelentwicklungen eigenen sich prinzipiell gut als Teil von Mixed-Use-Projekten. Die verschiedenen Nutzungsarten befruchten sich gegenseitig: So können Büronutzer die Veranstaltungsräume von Hotels nutzen, das Hotel wiederum die Fitnesscenter. Allerdings ist dafür ein Quartiersmanagement nötig, die Kosten müssen auf alle Nutzer umgelegt werden. Aktuell steht die Hotelbranche jedoch selbst unter Schock. Nachnutzungen von Handelsimmobilien durch Hotels scheinen in den nächsten drei Jahren nicht realistisch zu sein, da auf den Hotelbereich durch die Corona-Krise eine drei- bis fünfjährige Findungsphase zukommt. Dennoch sollte das innerstädtische Reisen durchaus Zukunft haben – schließlich hat der Markt 2019 im Unterschied zum Einzelhandel noch geboomt.
Anpassung des Baurechts notwendig
Die Öffentlichkeit mag das mitunter wundern, aber alle Diskutanten wissen: Ein Umbau kostet mindestens ebenso viel wie ein Neubau. Einer der Vorteile jedoch ist, dass weniger Abbruch erzeugt wird und Umbau allein schon aus Gründen der Nachhaltigkeit sinnvoll ist. Allerdings kämpfen die Akteure mit Widrigkeiten oder Überraschungen, die man beim Neubau nicht hat.
Ein weiterer Aspekt, der auch in vielen engagierten Kommentaren von Zuhörern zur Sprache kam, ist das Thema Baurecht. Dieses ist für jede Nutzungsart unterschiedlich und überfordert Verwaltungen bei Mixed-Use-Objekten mitunter. Die langen Bearbeitungsdauern von B-Plänen wurden ebenso beklagt wie generelle Hürden auf planungsrechtlicher Seite. Probleme bestehen insbesondere darin, Wohnnutzungen in B-Plänen zu implementieren – Hotel, Handel, Büro und Gastronomie nebeneinander auszuweisen, ist dagegen weniger schwierig. Gerade klassische Wohnungen sind im Kerngebiet oft nur eingeschränkt zulässig. Nichtsdestotrotz sollten Symbiosen innerhalb der Gebäude die Zukunft sein, weil Immobilien nur dann auch nachhaltig seien.
Auch wenn mit der neuen Baugebietskategorie Urbanes Gebiet schon ein guter Anfang gemacht worden ist, wünschen sich die Diskutanten – wie auch viele Zuhörer – eine Anpassung und Flexibilisierung des Baurechts, um Mixed Use zu erleichtern.
Ein Gesamtfazit, das wurde schnell klar, ist bei der Komplexität des Themas schwierig – Patentrezepte gibt es nicht, die richtige Mischung ist immer von den individuellen Gegebenheiten abhängig. Klar ist: Ein partnerschaftlicher Dialog, auch mit den Verwaltungen, ist unverzichtbar. Und Nachhaltigkeit wird mehr denn je zum zentralen Aspekt werden.
Hinweis: Über diesen Link können Sie die Aufzeichnung des Webinars vom 19.2.2021 ansehen.
Präsentation Mixed Use von Dr. Joseph Frechen
Ansprechpartnerin:
Sigrid Rautenberg
Leitung Unternehmenskommunikation bei bulwiengesa
rautenberg@bulwiengesa.de
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